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8-1 Politische Anpassungsregelungen



Um die Wende 1957/58 schlägt die bis dahin bestehende Knappheitslage auf dem Weltenergiemarkt in eine Überflußlage um. Bei allen Energieträgern, besonders bei Kohle und Mineralöl, übersteigen die Produktionen die Nachfrage.

Das konkurrenzlos billige Heizöl kann ohne Beschränkung in den deutschen Markt fließen. Es verdrängt die Kohle nicht nur weil es billig ist, sondern wie Gas in Bezug auf Handhabung und Komfort mehr bietet.

Der Steinkohlenbergbau legt bis Mai 1958 elf Feierschichten ein; im Juli betragen seine Halden bereits 8,6 Millionen Tonnen Kohlen und Koks. Der drastische Anstieg der Kohlenhalden leitet die Kohlen- und Strukturkrise im deutschen Steinkohlenbergbau ein. Sie kommt für alle Beteiligten überraschend.

Die deutsche Steinkohle, die 1957 noch mehr als 60% des Primärenergieverbrauchs der Bundesrepublik bestreitet, verliert ihre beherrschende Position.

BILD 122 Primärenergieverbrauch in der BRD

Andere Energieträger übernehmen zu ihren Lasten wachsende Marktanteile, zuerst Importkohle und vor allem Erdöl, später auch Erdgas und Kernenergie.

Bis Ende 1967 steigt der Grundenergiebedarf der Bundesrepublik auf 267 Millionen Tonnen Steinkohleneinheiten (SKE). Mit 97 Millionen Tonnen SKE deckt die deutsche Steinkohle nur noch rd. 36% des Primärenergieverbrauchs, das Erdöl steigert mit 127 Millionen Tonnen SKE seinen Anteil von 11 auf 47%.

Im Preiswettbewerb mit dem Öl und den anderen konkurrierenden Energieträgern verstärkt der Bergbau Maßnahmen zur Rationalisierung und Kostenminderung. Zur Rationalisierung gehört insbesondere die Stillegung kostenungünstiger Zechen. Die sozialen und regionalpolitischen Stillegungsauswirkungen werden durch wirtschaftspolitische Maßnahmen gestützt.

Da die Gestehungskosten infolge der Lagerstättenverhältnisse, der Arbeitsintensität der Kohlenförderung und des Lohnniveaus wesentlich über denjenigen der Konkurrenten liegen, steht die Stabilisierung des Steinkohlenabsatzes auf einem realistischen Niveau im Vordergrund aller kohlepolitischen Überlegungen.

Mit der Bildung der Ruhrkohle AG werden 1968 die Weichen für einen geordneten Rückzug  gestellt.

Um den Absatz deutscher Steinkohle im Inland zu    stützen, werden 1959 z.B. Heizöl mit Umsatzsteuer und Kohleneinfuhrmengen über fünf Millionen Tonnen jährlich hinaus mit 20 Mark Zoll je Tonne belegt. Eine “Notgemeinschaft Deutscher Steinkohlenbergbau" wird gegründet. Ein Anstieg der Halden auf 16,5 Millionen Tonnen Kohlen zwingt zu Feierschichten, deren soziale Auswirkungen die Bundesregierung mit einem “Härteausgleich" mindert. Die Gruben führen im Mai die 40-Stunden-Woche mit fünf Tagen zu je acht Stunden Schichtzeit ein.

Im Mai 1962 nennt die Bundesregierung für den deutschen Steinkohlenbergbau eine Richtzahl von 140 Millionen Tonnen Steinkohlenfördermenge jährlich, wenn deren Verkaufspreise angemessen seien. Absatzeinbrüche durch Einfuhrenergien werde sie verhindern und jede Anpassungsbemühung an den geringeren Verbrauch unterstützen. Je Tonne stillgelegter Steinkohlenfördermenge werden aus öffentlichen Mitteln 12,50 Mark gewährt.

Nachdem bis 1963 über 30 Steinkohlenzechen mit rd. 12 Millionen Tonnen Jahreskohlenfördervermögen wegen Absatzmangels geschlossen werden, wird im September 1963 aufgrund eines entsprechenden Bundesgesetzes der “Rationalisierungsverband SteinkohIenbergbau" gegründet. Sein Ziel ist Anpassen der Kohlenfördermenge an den Absatz durch Zusammenfassen und Schließen von Zechen. Je stillgelegte Jahrestonne Kohle sollen 25 Mark gewährt werden, je zur Hälfte aufzubringen von der Bundesrepublik und vom Verband.

Mit dem Ziel, bis zu 2,5 Millionen Tonnen Steinkohle jährlich mehr abzusetzen, dürfen ab 1964 neue Kraftwerke, sofern sie zehn Jahre lang Steinkohle der Europäischen Gemeinschaft verfeuern, 45% steuerfreie Rücklagen von ihren Herstellkosten bilden und diese später erfolgsneutral auflösen.

Bis Ende 1964 werden weitere 31 Steinkohlenzechen mit 26 Millionen Tonnen Jahresfördervermögen zur Schließung angemeldet, unter ihnen auch recht gute.

Die Einfuhr von Rohöl und verwandten Erzeugnissen wird allgemein genehmigungspflichtig, der Bau von Raffinerien und Ölleitungen meldepflichtig. Die Selbstbeschränkung der Ölindustrie funktioniert jedoch nicht. Bestehende einschlägige Genehmigungen werden verkürzt. Die Ölwirtschaft muß Mindestvorräte halten.

BILD 124 Absatz deutscher Steinkohle nach Absatzbereichen

BILD 125 Lagerbestände in der BRD ohne Verbraucherbestände, Koks in Kohle umgerechnet

Die Bundeskasse entlastet die Bergbauberufsgenossenschaft.

Bei einer Kohlepreiserhöhung um 4,5% drängen die Stromwirtschaft ebenfalls auf höhere Preise und die Hütten auf Einsatz billiger Kokskohle aus dritten Ländern.

Die Regierung empfiehlt 1965 dem Steinkohlenbergbau, die Jahresfördermenge von 140 auf 126 Millionen Tonnen Kohlen zu senken. Um Haldenplatz zu schaffen und die Anzahl der Feierschichten zu mindern, werden mit öffentlicher Unterstützung vier Millionen Tonnen Ruhrkohlen revierfern ausgelagert. Die Beihilfen zur sozialen Absicherung entlassener Bergleute wie Abfindung, Wartegeld, Umschulung, Fahrgeld, Lohnbeihilfe u.a.m. sind auch mit Mitteln der europäischen Montanunion abgesichert.

Ab September 1966 versorgt eine die Alpen kreuzende Leitung vom italienischen Hafen Genua nach Ingolstadt Süddeutschland mit Erdöl.

In Nordrhein-Westfalen werden nach der Landtagswahl die Sozialdemokraten die stärkste politische Kraft und sie bleiben dies bis in die 90er Jahre.

Ab Dezember 1966 regieren in Bonn Christdemokraten und Sozialdemokraten gemeinsam. Bundeswirtschaftsminister ist der Sozialdemokrat Professor Dr. Karl Schiller.

Während der Steinkohlenverbrauch seit Anfang 1964 bis Ende 1967 um 30 auf 97 Millionen SKE fällt, steigt der Ölverbrauch um 46 auf 126 Millionen SKE. Es schließen seit Anfang 1964 weitere 32 Zechen mit etwa 25 Millionen Tonnen Jahresfördervermögen Kohle und fast 55000 Arbeitern und Angestellten, als letzte 1967 die Zeche Shamrock.

Wirtschaftsminister Schiller ruft zur konzertierten Aktion für den Steinkohlenbergbau auf und lädt am 13.03.1967 Unternehmer und Gewerkschaft mit der Bundesregierung an einen Tisch, mit dem Ziel, den Rückzug des Bergbaus unter Wahrung öffentlicher Interessen möglichst sozialverträglich weiterzuführen.

Das “Gesetz zur Anpassung und Gesundung der deutschen Steinkohlenbergbaugebiete" aus Mai 1968 sieht Zusammenfassung der Förderung auf Zechen stärkster Ertragskraft und der Steinkohlenzechen zu Zechengruppen bester Größen vor.

Ab Oktober 1969 regieren in Bonn Sozialdemokraten und Freidemokraten gemeinsam. Bundeskanzler ist der vorherige Außenminister und frühere Regierende Bürgermeister von Berlin Willi Brandt. Wirtschaftsminister bleibt Karl Schiller.

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