2-3 Wohlfahrts- und Kommunalarbeit, Belegschaft und Umfeld
Bereits 1901 erörtert der Vorstand die Anstellung eines Arztes in Erkenschwick. Ab 1903 werden Schul- und Kirchenbau mit Grundstücken, Baustoffen und Geld gefördert und die Kirchengemeinden und deren Sozialarbeit unterstützt. Für eine evangelische Schule werden 10.000 Mark bewilligt.
Ab 1904 sind Krankenwagen und eine Feuerspritze vorhanden.
1904 zeigt die Verwaltung dem Revierbeamten an, sie wolle gleich den kaufmännischen Beamten nun auch den technischen Betriebsbeamten einen mindestens 14tägigen Jahresurlaub gewähren, wenn dem behördliche Bedenken nicht entgegenstehen. Sie schließt zu Gunsten der Beamten Unfall- und Lebensversicherungen zu ermäßigten Beiträgen ab und trägt einen Teil derselben. Auch können Beamte ab 1902 Zuschüsse zu Badereisen erhalten.
Georg Wilke gründet 1904 eine Gewerkschaftsgruppe, der später Heinrich Große-Streuer und Pius Schale vorstehen.
Der Vorstand beschließt 1906 zweimal 6.000 Mark Zuschuß für den evangelischen Kirchenbauverein, für die Schule in Rapen einen Zuschuß von 2.500 Mark und gewährt 12.000 Mark in Form von einer Million Ziegelsteinen für den Bau einer katholischen Kirche.
Der Vorstand beschließt 1907 die Errichtung einer evangelischen Kleinkinderschule mit 101 Sitzen und eines Betsaales mit 343 Plätzen.
Weil Pfarrer Woldering von Oer den Bau einer katholischen Kleinkinderschule neben der evangelischen nicht wollte, erhält er ab 1907 lediglich einen jederzeit einstellbaren Zuschuß von 600 Mark jährlich.
Im Mai 1908 erörtert der Vorstand Verträge mit dem Diakonissenhaus Witten wegen einer Gemeinde- und einer Kleinkinderschulschwester sowie die Kostenübernahme für die Neueinrichtung der Schwesternwohnung von 2.100 Mark. Noch in 1908 werden die Verträge umgesetzt.
Bis 1913 ist der Belegsschaftswechsel mit 300 bis 600 Mann jährlich groß. Der allgemein herrschende Arbeitermangel und die große Zahl von Zechen auf engem Raum machen es den Bergleuten leicht, ihre zu fordern und einen neuen Arbeitsplatz zu suchen. Einen Arbeitsnachweis mit wirksamer Übersicht über die Herkunft der Arbeiter gibt es erst ab 1910. Wegen Absatzrückgangs gegen Ende 1904 werden laut Jahresbericht “Mit Rücksicht auf den Betrieb” 271 Mann entlassen.
Im Rahmen des allgemeinen Bergarbeiterstreiks von Mitte Januar bis Mitte Februar 1905 streiken auch in Erkenschwick zwischen 4 und 96 Mann, im Durchschnitt 58 Mann.
Ab 20.Januar 1905 arbeitet der gesamte Grubenbetrieb nur morgens und die Kohlenförderung dauert von 8 bis 16 Uhr. Die Jugendlichen an den Lesebändern und in der Verladung haben zweimal je Schicht eine halbe Stunde Pause.
Im Mai berichtet der Bergrevierbeamte dem Oberbergamt, die Belegschaft sei von 646 auf 250 Mann unter Tage und 78 Mann über Tage gedrosselt worden, weil die Gesellschaft die vom Syndikat zugebilligte Fördermenge mit größerem Gewinn auf den Zechen Ewald in Herten und Resse fördern könne. Den Gekündigten sei Vergütung von Umzug und Miete für einen Monat angeboten, wenn Sie auf den Zechen Ewald oder Eiberg anlegten. Von 28 Bergleuten, die inzwischen Hauseigentümer seien, seien sieben abgekehrt, von diesen sei einer in Konkurs geraten und habe seine Ersparnisse von 3.000 Mark eingebüßt.
Zu einem im Namen der Gemeinde Erkenschwick und Rapen eingereichten Gesuch der Bauunternehmer Merzik und Wolf, des Schneiders Hennemann und des Farbenhändlers Embers aus Essel, wegen leerstehender Wohnungen und Angstverkäufen von Häusern die Zechenbelegschaft doch wieder erhöhen zu wollen, berichtet der Bergrevierbeamte im Dezember 1905 dem Oberbergamt: die Belegschaft betrage inzwischen wieder 327 Mann, und es seien noch 46 Mann von der Zeche Werne angenommen worden. Kein Bergmann sei bisher durch Zwangsversteigerung geschädigt, aber weitere Zwangsverkäufe seien nicht auszuschließen. Besonders ein Spekulant aus Gelsenkirchen verkaufe billig erworbenes Land teuer an Leute mit geringen Anzahlungsersparnissen, gewähre ihnen weiteren Kredit gegen Erste Hypothek, erwerbe bei der Zwangsversteigerung, die er bei erstem Zahlungsverzug eilig betreibe, Haus und Grund gewöhnlich zu geringem Preis zurück und verdiene dabei fast stets die Anzahlung, so bei den Häusern Yorkstraße 19,1 und 23.
Der Jahresbericht 1905 nennt Abnahme der Fördermenge von Monat zu Monat mit Ausnahme des Dezember; in diesem seien zweieinhalb Sonderförderschichten verfahren worden. Der Gesellschaftsbericht erklärt den Gewerken die auch nach Ende des Januarstreiks kaum höhere Ruhrkohlennachfrage mit Ersatzkäufen von Kohlen aus anderen Ländern Europas durch die heimische Industrie und durch Wagenmangel der Eisenbahn, ausgelöst durch zu hohe Anforderungen der rheinischen Braunkohle. Die Aus- und Vorrichtung der Zeche schreite daher nur langsam fort.
Durch den Streik verschlechtert sich die Stimmung in der Öffentlichkeit gegen den Ruhrbergbau erheblich. Nicht zuletzt war er Anlaß zur Mutungssperre für Steinkohle (Lex Camp) und deren Erweiterung 1907 zum Staatsvorbehalt. Von da an war eine räumliche Ausdehnung des privaten Bergbaus kaum noch möglich.
1905 kehren 509 Arbeiter ab, 380 werden nur angelegt.
Arbeiterwohnungen gibt es ausreichend. Gegenüber 1904 sanken die Zimmermieten für private von 6,50 auf 4,50 Mark monatlich und für Zimmer in der Kolonie bzw. angemietete Zimmer von 4 bis 5 Mark auf 3 bis 4 Mark monatlich.
Die Durchschnittslöhne für Kohlenhauer, Gesteinshauer, Reparaturhauer, Schlepper betragen in dieser Folge 5,23,5,17,4,51 und 3,52 Mark, im Gesamtdurchschnitt 4,43 Mark je Schicht.
Gegenüber 1904 haben statt 99 nur noch 64 Bergleute Eigentum. Es wird eine betriebliche Unterstützungskasse erwähnt, die vom Arbeiterausschuß und drei Beamten verwaltet wird. Dieser Kreis befindet einmal monatlich über Anträge und hört alle drei Monate Wünsche, Beschwerden und Mängel an.
Die Belegschaft wählt nach der Berggesetznovelle von 1905 die Mitglieder des Arbeiterausschusses durch Stimmzettel. Es sind Vertreter des Christlichen Gewerkvereins.
Eine Konsumanstalt wird 1906 nicht mehr unterhalten. Erstmalig erwähnt wird eine von der Zeche verwaltete Familienkasse, die Arbeitern und ihren Familien freie ärztliche Behandlung gewährt.
Im Jahre 1907 werden die Gesteinsunternehmer Heinrich Geile aus Horst bei Steele und Neuhaus aus Bochum beschäftigt. Ihre Arbeiter werden von der Zeche entlohnt.
Der Durchschnittslohn je Schicht beträgt 5,41 Mark im Jahr 1907 und erreicht 1913 den Betrag von 6,02 Mark.
Jeder Bergmann muß laut Jahresbericht drei bis 4 Menschen ernähren. Kartoffeln, Getreide, Erbsen und Bohnen kosten je Kilogramm zwischen 0,08 und 0,35 Mark, Fleisch um 1,50 Mark, Butter um 2,30 Mark, Milch um 0,20 Mark je Liter, Eier und Zigarren um 0,10 Mark, Zigaretten um 0,03 Mark je Stück, Schnaps und Bier um 0,20 Mark je Glas. Die Zeche gewährt Förderkohlen und Altholz für den Bergmannshausbrand unter Marktpreis. Bergmannskötter mit Pferd und Wagen übernehmen die Brennstoffabfuhr gewerbsmäßig.
Die Zechenbahn unter Bahnmeister Koch befördert ab 1907 Arbeiter aus Sinsen, Speckhorn und Oer. Auch Angehörige dürfen die Bahnverbindung nutzen.
Die Arbeiter kommen meistens zu Fuß, mit dem Fahrrad und ab 1909 auch mit der elektrischen Straßenbahn: “Sie haben ihre zu Hause mit Kaffee gefüllten Blechflaschen an einer Schnur über die Schulter” gehängt. Ihr aus abgetragenen Anzügen bestehendes Arbeitszeug nehmen sie in mehreren Tagen Abstand in Bündeln aus graublau karierten Handtüchern zum Waschen mit nach Hause.
Jeder holt bei Ankunft auf der Zeche an der “Markenstube” eine mit seiner Nummer versehene Blechmarke und gibt sie dort bei Weggang wieder ab. Die Markenstube ist mit Markenkontrolleuren besetzt, die außerdem Verletzten Erste Hilfe leisten, sie gegebenenfalls waschen und auch Unfalltote aufbahren müssen.
Die Schichtzeit unter Tage beträgt 8,5 Stunden bis 1913. Bei längerer Schichtzeit über Tage bringen Frauen und Kinder den Männern oft warmes Mittagessen im “Henkelmann” an das Zechentor.
Bis 1908 sind unter anderem folgende Grubenbeamte bekannt: Gabriel, Jung, Kleine-Limberg und Rank als Fahrsteiger; Heinenberg, Sebold, Scheer, Laarmann, Köhne, Stach, Brell, Keller, Buchholte, Kühn, Herdecke, Berg, Baumbach, Symann, Wasser, Holland, Figge, Terlau, Drüll, Cremer, Ritz, Kötter, Hoffmann, Brüggestrat, Stens, Vogt, Diepenbrock, Leineweber, Figge, Schmidt, Höffken als Steiger, sowie Leineweber und Herman Göring als Fahrhauer. Herman Göring, 1871 in Lütgendortmund geboren, wurde 1907 für die Nachtschicht verpflichtet, nachdem er schon auf den Zechen Constantin, Eintracht und nach zwei Jahren Wehrdienst noch auf den Zechen Prinz von Preußen, Präsident und Mont Cenis gearbeitet hatte. Für selbstlosen Einsatz bei der Rettung von vier verschütteten Bergleuten im Juni 1897 auf der Zeche Prinz von Preußen erhielt er ein Diplom des Oberbergamtes und eine Uhr vom Harpener Bergbauverein.
Im Jahre 1908 tritt die Gewerkschaft Ewald mit ihren Zechen dem soeben gegründeten Zechenverband bei, der sich als Arbeitgeberverband in erster Linie der sozialpolitischen Tätigkeit widmete.
Im selben Jahre gibt es auch eine Ortsgruppe Christlicher Gewerkschaft, die mit den Namen Theo Lemloe, Johann Tottmann, Rüter und Wilhelm Kornmüller verbunden ist.
Laut Verwaltungsbericht 1912 “konnten fleißige Arbeiter ihr Einkommen um 15 bis 20% steigern”. Der Vorstand sucht jedoch eine Erklärung, warum die Zeche nicht die Leistung der Zeche Ewald in Resse erreicht. Der Niederschrift einer Besprechung Ende 1912 ist zu entnehmen:
“Die Betriebsverhältnisse auf der Schachtanlage Ewald Fortsetzung unter wie über Tage wurden eingehend besprochen; insbesondere wurde darauf hingewiesen, daß in letzter Zeit gegenüber der Zunahme der Belegschaft die Förderung nicht im gleichen Maße gestiegen sei. Obwohl seitens der Betriebsleitung wie auch seitens des anwesenden Betriebsführers, Herrn Augustin, eine Reihe von Gründen für diese Erscheinung angeführt wurde, ist der Arbeitsausschuß der Ansicht, daß dennoch auf der Schachtanlage, selbst wenn man die durch die starke Entgasung und die Bildung von Kohlenstaub vorhandenen gefahrdrohenden Verhältnisse in erster Linie in Rücksicht zieht, eine höhere Förderung und eine bessere Leistung erzielt werden könne und glaubt daher, dem Betriebsführer Augustin eine weitere bewährte Kraft zur Seite stellen zu müssen. Da aber Herr Assessor Sträter, wie die Verwaltung hierzu bemerkt, die Erklärung abgegeben hat, daß die Förderung bis zum 1. Juni 1913 spätestens 2.500 Tonnen Kohlen betragen würde, wird von der Verwaltung der Vorschlag gemacht, die weitere Entwicklung der Schachtanlage während des ersten Halbjahres 1913 noch abzuwarten und alsdann in einer weiteren Besprechung, die vielleicht im Monat Juni stattfinden könne, wenn notwendig, weitere Maßnahmen zu beschließen.”
Bis einschließlich 1913 gibt es 26 tödliche Unfälle, unter ihnen sind die Steiger Gustav Schnepel und Jacob Selzer, letzterer im Rettungsgerät.
Ab 1913 ist hinter dem Pförtnerhaus ein Getränkeausschank für Milch, Sprudelwasser und Fleischbrühe. Die Milch liefern die umliegenden Bauern und das Sprudelwasser wird selbst hergestellt.
Belegschaft, Förderung, Leistung
Die Belegschaft der Schachtanlage beträgt Ende 1913 2.389 Mann. Grubenbeamte sind als Fahrsteiger Alt, Jung, Rank und Wasser, als Reviersteiger, Steiger und Fahrhauer Salzmann, Hense, Laarmann, Heinenberg, Seebold, Keller, Berg, Baumbach, Cremer, Terlau, Ritz, Kötter, Hoffmann, Gösslinghoff Leggewie, Brass, Brockhaus, Klemme, Reinert, Mollenhauer, Kühn, Schumacher, Löchel, Ruppenthal, Petersohn, Stodt, Düffels, Axen, Roloff, Leineweber, Göring, Vogt, Ader, Stara, Brückmann. Kokereiassistenten sind Hölting, Kreft, Flunkert, Claus u.a., Koksmeister sind Müller, Hartmann.
Im Raum Oer-Erkenschwick leben rd. 14.800 Menschen, davon sind 31% Stammbevölkerung, 25% Slowenen,15% Polen, 17% Ostpreußen und 12% Sonstige.
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